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"Ehrlich währt am Längsten" (02/2004)
- oder "Lügen haben kurze Beine".
Mag man den beiden Sprichworten Glauben schenken, dann kommt man wohl
am Weitesten mit der Wahrheit. Auch eine Religion und ihre Heilige Schrift
lehren uns:"Du sollst nicht lügen". In der Regel bringen
Eltern ihren Kindern auch bei ehrlich und aufrichtig zu sein, doch kaum
ein Gebot wird so oft gebrochen, wie dieses. Heutzutage liegt die Lüge
voll im Trend, kurz gesagt: Die Wahrheit ist out! Und die Lüge ist
in!
Forscher haben herausgefunden, dass der Mensch im Durchschnitt 400 Mal
am Tag lügt, dass Lügen glücklich macht und zu lügen
die Intelligenz fördert.
Wenn also jeder Mensch wirklich so oft lügt, dann kann er kaum noch
Wahres von sich geben! Allerdings macht die Wahrheit auch nicht unbedingt
glücklich, denn die Realität, der eine Wahrheit entspringt,
ist allzu oft grausam und hart. Es ist einfach angenehmer und menschlicher
die Realität zu verdrängen. Denn mensch sucht sich immer den
leichtesten Weg mit dem geringsten Widerstand aus. Natürlich ist
es irgendwie logisch, dass das Lügen die Intelligenz fördert!
Wenn mensch tatsächlich 400 Lügen pro Tag verbreitet, muss er
sich ebenfalls merken können, wem er was erzählt hat.
Selbst zwei amerikanische Psychologen raten zur Rettung der Beziehung
- nach einem Seitensprung - zum Lügen, frei nach dem Motto "was
der andere nicht weiß, macht ihn nicht heiß".
Wo hat nun die Lüge ihren Ursprung? Was war die erste Lüge?
Wer der erste Lügner/die erste Lügnerin? Also wer ist quasi
der Erfinder dieser von Manchem als Kunst bezeichneten Form der Kommunikation?
Biblisch betrachtet ist wohl Eva die erste menschliche Lügnerin.
Ihre Lüge hatte dann die Vertreibung aus dem Paradies zur Folge.
Mit diesem ersten Verbrechen kam auch, laut der christlichen, heiligen
Schrift, das Böse auf die Welt. In dieser Betrachtungsweise ist die
Lüge also eines der schlimmsten Verbrechen, das ein Mensch begehen
kann. Es wird gelehrt, dass ein Lügner niemals das Paradies betreten
kann und darf, sondern die Lüge als Grund für die Vertreibung
aus demselbigen dient.
Den Ursprung der Lüge philologisch einzuordnen, ist tatsächlich
nicht ganz so einfach, allerdings sagen manche der "alten" Dichter,
dass die Erde, nachdem die Riesen von den Göttern überwältigt
waren, aus Rache einen letzten Sproß, die Fama (lat. Gerücht),
hervorbrachte. Die alte Fabel kann man so deuten, dass immer, wenn Tumult
und Aufruhr zur Ruhe gebracht worden sind, Gerüchte und falsche Nachrichten
in Unmengen im Volk verbreitet wurden. Somit ist also die Lüge
das letzte Hilfsmittel einer geschlagenen, niedrigen und rebellischen
Partei im Staate' (Jonathan Swift). Vor allem in der Politik nutzt man
heute diese "hohe" Kunst des Lügens, um - frei nach Hegel
- These und Antithese unter das Volk zu streuen, denn das Verhindern des
Verbündens der Bürger eines Staates untereinander ist der beste
und sicherste Machterhalt.
Die Lüge als Teil der menschlichen Kommunikation geht mit dem Menschsein,
also von Anfang bis Ende, einher. Wir stellen in den meisten Lebenssituationen
weder den Drang zur Realitätsverschönerung, noch unser eigenes
Geltungsbedürfnis hinter die Wahrheit.
Der Mensch ist nun mal egoistisch veranlagt. Obwohl er nicht alleine
sein kann, geht es ihm im Endeffekt nur um sich selbst, und Sozial-Darwinismus
hat er zum allgemeingültigen Dogma erklärt. Diese Einstellung
ist der Wahrheit hinderlich und öffnet der Lüge Tür und
Tor.
Sein eigener Lebenserhaltungstrieb sowie die Erhaltung des Status quo
bzw. der Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände lässt
ihn immer wieder auf das Stilmittel, Lüge, und auch Selbstlüge
(Selbsttäuschung) zurückgreifen. Wie ein Autor seinen Text mit
Stilmitteln anreichert, verziert ein Lügner seine Geschichten.
Ausnahmslos jeder hat schon mal zu seinem eigenen Vorteil gelogen. Hierfür
gibt es genügend bereits ausführlich beschriebene Fallbeispiele
von nützlichen und unnützen, von ehrenvollen und lasterhaften,
von lebensrettenden und todbringenden, von moralischen und unmoralischen,
von vertretbaren und unvertretbaren Lügen.
Hauschka bemerkte, dass "die Lüge die Tarnkappe eines feigen
Menschen ist". Ein Feigling blickt ungern der Realität ins Auge!
Deswegen befindet er sich wohl ständig auf der Flucht vor der Wahrheit.
Aber sind alle Lügner auch gleichzeitig Menschen, die die Realität
verdrängen? Oder sind es nicht ebenfalls Menschen, die die Realität
nur zu gut kennen und die Umstände lediglich für ihre Zwecke
ausnutzen? Denn zu jeder Form der Kommunikation, also auch der Lüge,
gehören immer mindestens zwei, der Sender und der Empfänger
der Information(en).
Hätte die Menschheit überhaupt ohne Lügen überlebt?
Die erste Form der Lüge finden wir bei den Vorfahren des Homo Sapiens.
Auch diese Lüge lässt sich anhand des menschlichen Lebenserhaltungstriebs
begründen:
Die Lüge besteht ja bekanntlich aus List und Täuschung. Schon
unsere Vorfahren mussten diese beiden Stilmittel bei der Jagd anwenden,
um ihre Familien und ihre Gemeinschaft zu ernähren. Durch die Erfindung
und Anwendung von Fallen gaukelten sie ihrer Beute vor selber Beute machen
zu können. Vermutlich lange bevor das erste Wort gesprochen wurde,
gab es so bereits die erste(n) Lüge(n) auf dieser Welt.
Macht Lügen also erfolgreicher? Oder währt ehrlich nun doch
am längsten?
Der Volksmund hat eine einfache Antwort parat, nämlich "der
Ehrliche ist oft der Dumme". Vielleicht steht gerade deshalb auch
"selig sind die geistig Armen" in der Bibel geschrieben.
Es scheint so zu sein, dass Menschen mit Lügen zumindest sehr weit
kommen können, in ihrem Leben also recht erfolgreich sind. Jedoch
offenbart sich der Wunsch des Menschen nach Wahrheit meist stärker,
als der nach Lüge. Einem ehrlichen Menschen schenkt man in der Regel
nun mal mehr Vertrauen, als einem unehrlichen. Dennoch ist die Bereitschaft
bei jedem Menschen höher, zu lügen, denn Wahres zu sprechen.
Sicher lässt sich jedenfalls nur feststellen, dass die Wahrheit ein
höchst ehrenwertes, aber mittlerweile sehr seltenes und genau deshalb
umso wertvolleres Gut geworden ist. Und wertvolle Dinge versucht mensch
zu konservieren. Somit lässt sich sogar vermuten, dass hinter jeder
Lüge eine grosse oder kleine Wahrheit steht, die allerdings gut versteckt,
verschleiert und behütet werden soll.
Die Wahrheit ist im Gegensatz zur Lüge, die unendlich variabel ist,
nicht veränderbar!
Das heißt, die Lüge ist nicht wie die Wahrheit endgültig
definiert, sondern eben für jeden frei gestaltbar. An einer Lüge,
also auch der Entstehung und Verbreitung derselben, kann jeder kreativ
teilnehmen. Die Wahrheit jedoch steht real und unveränderbar fest.
Dadurch erklärt sich die menschliche Faszination für das Lügen.
Es ist einfach interessanter - auch wenn ehrlich länger währt.
[Anmerkung meiner Lektorin F.M.: Wahrheit ist aber auch eine subjektive
Empfindung, somit hat jeder Mensch seine eigene.]
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