Re: Überwachungsstaat Deutschland


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Abgeschickt von Pressemitteilung der Grünen am 16 Mai, 2003 um 13:54:51:

Antwort auf: Überwachungsstaat Deutschland von Pressemitteilung der Grünen am 07 Mai, 2003 um 12:07:12:

PRESSEMITTEILUNG


NR. 300/2003


Datum:


15.05.2003


Telefonüberwachung reformieren


Anlässlich der Vorstellung des Gutachtens des
Max-Planck-Instituts zur Telefonüberwachung
erklärt der rechtspolitische Sprecher, Jerzy
Montag:


Die Reform der Telefonüberwachung muss jetzt zügig
angegangen werden. Erste Vorschläge der
Rechtsexperten der grünen Fraktion liegen bereits
vor: Eine effektive Kontrolle muss sicher stellen,
dass Telefone auch in der Praxis nur überwacht
werden, wenn dies nach dem Gesetz zulässig ist.
Und die Liste an Straftaten, bei denen eine
Telefonüberwachung zulässig ist, muss gekürzt
werden. Wir brauchen eine bessere richterliche
Kontrolle und eine zeitliche Befristung der
Maßnahme auf einen Monat. Die Betroffenen müssen
effektiven Rechtsschutz erhalten, der klar im
Gesetz zu regeln ist. Wird ein Telefon überwacht,
obwohl die Voraussetzungen eklatant missachtet
wurden, muss ein Beweisverwertungsverbot die Folge
sein. Besonders gravierend ist die
Telefonüberwachung, wenn dadurch in geschützte
Beratungsgeheimnisse eingegriffen wird, z.B. bei
Rechtsanwälten oder Geistlichen. Hier sollte die
Telefonüberwachung ausgeschlossen werden.


Bereits ein Gutachten der Universität Bielefeld
hat große Lücken in der Kontrolle aufgezeigt. Nun
muss auch das Gutachten des Max-Planck-Instituts
ausgewertet werden und auf der Basis dieser
Gutachten die Telefonüberwachung reformiert
werden.


Durch diese Maßnahmen wollen wir die
Telefonüberwachung auf die Fälle konzentrieren, in
denen sie wirklich erforderlich und
erfolgversprechend ist.


Denn schon die bisher bekannten Zahlen zwingen zum
Handeln. Letztes Jahr wurden 21.974
Telefonüberwachungsmaßnahmen im Rahmen der
Strafverfolgung angeordnet. Dabei wurden
Schätzungen zufolge über 20 Millionen
Telefongespräche und damit mehr als 1,5 Millionen
Menschen in ihrer Privatsphäre ausgehorcht. Nur
ein verschwindend geringer Anteil betraf
sicherheitsrelevantes oder strafwürdiges
Verhalten. Seit 1995 hat sich die Zahl der
Telefonüberwachungen fast verfünffacht.


Anlage: Positionspapier zur Telefonüberwachung.


7.5.03 Positionspapier zur Telefonüberwachung


Telefonüberwachungen zur Strafverfolgung haben in
den letzten zehn Jahren enorm zugenommen. Im Jahr
2002 wurden 21.974 Telefonüberwachungsmaßnahmen im
Rahmen der Strafverfolgung angeordnet. Hiervon
noch nicht erfasst sind
Telefonüberwachungsmaßnahmen der Geheimdienste,
die jedoch weit seltener sind . Seit 1995 hat sich
die Zahl der Überwachungen nahezu verfünffacht.
Damit nimmt Deutschland weltweit einen traurigen
Spitzenplatz ein.


Die Studie der Uni Bielefeld (Backes, Gusy, u.a.)
kommt zu dem Ergebnis, dass die Kontrolle der
Telefonüberwachung durch den Richtervorbehalt
nicht effektiv ist. Über 90% der richterlichen
Beschlüsse übernehmen den staatsanwaltlichen
Entwurf, obwohl häufig notwendige Angaben fehlen:
Über zwei Drittel der richterlichen Beschlüsse
enthalten nicht alle erforderlichen Angaben, sind
also unvollständig.


Um die Telefonüberwachung auf die Fälle zu
konzentrieren, in denen sie wirklich erforderlich
und erfolgversprechend ist, bedarf es einer
effektiven Verfahrenskontrolle und einer
Einschränkung des Katalogs der Straftaten, bei
denen eine Telefonüberwachung zulässig ist.


Effektive Verfahrenskontrolle


Die Telefonüberwachung muss grundlegend reformiert
werden. Eine effektive Verfahrenskontrolle muss
sicherstellen, dass Telefonüberwachungen auch in
der Praxis nur in den Fällen angeordnet werden, in
denen sie nach dem Gesetz auch zulässig sind.


Hierzu schlägt der Arbeitskreis 3 der
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Innen,
Recht, Frauen, Familie, Senioren, Bildung und
Jugend) folgende Maßnahmen vor:


· Qualifizierte Begründungspflicht für die
Anordnung des Richters (§ 100b): Die Begründung
muss die Entscheidungsgrundlage, die Verdachts-
und Beweislage sowie die Abwägung der Belange der
Betroffenen mit dem Zweck der Maßnahme konkret,
sachverhaltsbezogen und nachvollziehbar
darstellen.


· Anordnung von Telefonüberwachungen nur durch
besonders qualifizierte Richter. Innerhalb eines
Verfahrens soll für den gesamten Vorgang der
Telefonüberwachung der gleiche Richter zuständig
sein.


· Zeitliche Befristung der Maßnahme auf einen
Monat


· Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes für die
Verlängerung von Telefonüberwachungen über einen
bestimmten Zeitpunkt hinaus, so wie das OLG auch
bei der Verlängerung der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus zuständig ist.


· Erweiterung der Berichtspflicht der
Staatsanwaltschaft gegenüber Richter (§ 100b Abs.
4): Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft
gegenüber dem Richter nicht nur über Beendigung
der Maßnahme, sondern auch über Verlauf und
Ergebnis. Auch eine Zwischenberichtspflicht ist
erforderlich, damit die Maßnahme ggf. verkürzt
oder aufgehoben werden kann und damit der Richter
den Verlauf kennt, wenn er über einen
Verlängerungsantrag entscheidet.


· Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft
gegenüber der obersten Justizbehörde nach § 100e
auch bei Telefonüberwachung. Eine solche
Berichtspflicht ist Voraussetzung einer besseren
Evaluierbarkeit der Telefonüberwachung.


· Keine Telefonüberwachung von
Berufsgeheimnisträgern in Zusammenhang mit der
Berufsausübung. Die Ausnahme muss sowohl für
Berufsgeheimnisträger als Zielobjekt als auch als
anderer Gesprächsteilnehmer gelten.


· Benachrichtigung an die Betroffenen (§ 101):
In der Praxis werden die Betroffenen häufig nicht
benachrichtigt. Nach der Studie von Backes, Gusy
u.a. findet eine ausdrückliche Benachrichtigung
nur in 3% der Fälle statt, wobei in 50% der Fälle
die Betroffenen möglicherweise auf andere Weise
von der Telefonüberwachung erfahren haben. 22%
wurden nicht in Kenntnis gesetzt. Daher ist zu
prüfen, wie die Benachrichtigung in der Praxis
besser sicher gestellt werden kann. Auch
mitbetroffene Dritte sollten benachrichtigt
werden.


· Keine Verwertbarkeit von Zufallsfunden
unterhalb der Katalogtatenschwelle des § 100a.
Auch keine mittelbare Verwertbarkeit und zwar
weder bei Zielperson noch bei anderen Personen (§
100b Abs.5).


· Verwertungs- und Aufzeichnungsverbot für
"Raumhintergrundgespräche" unterhalb der
Katalogtatenschwelle des § 100a, die nur bei
Gelegenheit einer Telefonüberwachung anfallen.


· Beweisverwertungsverbot bei schwerwiegenden
Verstößen gegen die Anordnungsvoraussetzungen der
Telefonüberwachung.


· Rechtsschutz gegen die Anordnung einer
Telefonüberwachung: Derzeit fehlt eine
entsprechende Regelung. Es wird zwar eine
Überprüfung analog § 198 Abs. 2 StPO für zulässig
gehalten. Diese hat jedoch hohe Voraussetzungen,
indem sie nach Beendigung der Maßnahme
Wiederholungsgefahr oder eine fortbestehende
Diskriminierungswirkung erfordert. Eine
ausdrückliche Regelung des Rechtsschutzes müsste
auch für andere strafprozessuale Eingriffe gelten.


· Sprachliche Bereinigung und einheitliche
Regelung für alle Richtervorbehalte. Eine
übersichtlichere Gestaltung kann wesentlich dazu
beitragen, dass die gesetzlichen Anforderungen in
der Praxis auch beachtet werden.


· Parlamentarische Kontrolle: Diese setzt eine
umfassende statistische Erfassung und Auswertung
aller Telefonüberwachungsmaßnahmen voraus.


Reduzierung des Straftatenkatalogs


Neben der Verfahrenskontrolle sollte auch der
Straftatenkatalog des § 100a StPO bereinigt
werden. Erforderlich ist eine Beschränkung auf
schwerwiegende Delikte, insbesondere
Gewaltdelikte. Die Katalogtaten der Fahnenflucht
und der Straftaten gegen die Sicherheit von in
Deutschland stationierten Truppen sind quasi totes
Recht und sollten daher gestrichen werden (§ 100a
Nr. 1d und Nr. 1e). Auch § 130 sollte ausgenommen
werden, da bei einem reinen
Meinungsäußerungsdelikt die Verhältnismäßigkeit
fraglich ist. Bei den Diebstahls- und
Hehlereitatbeständen sollte die Telefonüberwachung
auf die Fälle beschränkt werden, in denen die
persönliche Sphäre der Opfer berührt ist, wie es
beim Einbruchsdiebstahl der Fall ist, aber z.B.
nicht beim Diebstahl eines abgeschlossenen
Fahrrades, auch wenn er durch eine Bande oder
gewerbsmäßig begangen wird. Lücken im Bereich der
organisierten Kriminalität entstehen hierdurch
nicht, weil diese bereits durch § 129 StGB erfasst
ist.



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